K. Gabriel u.a. (Hrsg.): Die Anerkennung der Religionsfreiheit

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Titel
Die Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Texte zur Interpretation eines Lernprozesses


Herausgeber
Gabriel, Karl; Christian, Spieß; Katja, Winkler
Reihe
Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt 4
Erschienen
Paderborn 2013: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
287 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Mirjam Kromer

Heftig abgewehrt als «Wahnsinn» (Pius IX., Quanta cura, S. 54), heiß umkämpft in der Konzilsaula, hitzig diskutiert in der nachfolgenden Interpretation und Rezeption − die «Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil» ist, ja was? Ergebnis eines mühevollen Lernprozesses (wer lernte dann von wem und ist dieser Prozess damit bereits abgeschlossen?)? Beginn einer neuen Ära der Ausgesöhntheit der katholischen Kirche mit der Moderne? Fortsetzung und Vertiefung der traditionellen kirchlichen Lehre? Oder radikaler Bruch mit eben dieser?

Fragen dieser Art lassen sich zu diesem Thema bis heute zuhauf stellen. Doch wie Antworten finden?

Die Textsammlung «Die Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Texte zur Interpretation eines Lernprozesses», erschienen in der Reihe «Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt» und herausgeben von Karl Gabriel, Christian Spieß und Katja Winkler, möchte Texte, die zu «maßgeblichen Bezugspunkten» (9) für die Auseinandersetzung mit der Religionsfreiheit wurden, «in der Zusammenschau sichtbar und leicht zugänglich machen» (ebd.). Der Leser soll so die Möglichkeit haben, sich Text für Text unterschiedliche Zugänge zur Thematik zu erarbeiten, sie miteinander zu vergleichen und zu einem eigenen Standpunkt zu finden. Unterstützt wird er dabei durch die einleitenden Worte der Autoren sowie knappen, grau hinterlegten Einführungen zu Beginn jedes Beitrags.

Die Einleitung fokussiert in erster Linie die Frage nach der Kontinuität bzw. Diskontinuität in der Lehre (es werden zu jedem Pol eine strikte und eine erweiterte Variante vorgestellt). Die Herausgeber heben zudem − unter Verweis auf die strukturelle Eigenheit der katholischen Kirche − die mögliche Vorbildfunktion dieses «beispielhaften Lernprozesses» (7) für den Umgang von Religionsgemeinschaften mit der Moderne hervor. Am Beispiel der Anerkennung der Religionsfreiheit werde offenkundig, dass die Kirche «nicht im Schneckenhaus ihrer Tradition gefangen (ist), sondern [...] sie gestalten» (9) kann. Was in der Einleitung leider fehlt, ist eine kurze und prägnante Definition dessen, was das Konzil unter Religionsfreiheit versteht, sowie ein paar Sätze zur päpstlichen Lehrtradition des 19. und 20. Jahrhunderts bis zum Konzil, damit dem − nicht zwangsläufig theologisch vorgebildeten – Leser verständlicher wird, warum und inwiefern die Frage nach Kontinuität und Bruch im Raum steht.

Auch die Einführungen, welche auf ein bis zwei Seiten Autor und Text in ihrem Kontext zu situieren suchen, bleiben häufig leider eher an der Oberfläche, was Textzugang und -verständnis erschwert. Zudem wird nur in geringem Maße mit Belegen gearbeitet und auf ein- bzw. weiterführende Literatur gänzlich verzichtet. Zu vermuten ist, dass dieses Defizit durch den für 2015 angekündigten Band «Wie fand der Katholizismus zur Religionsfreiheit? Faktoren der Erneuerung der katholischen Kirche» (Bd. 2 der gleichen Reihe), welcher die eigene Forschung der Hg. zur Thematik beleuchtet, geschlossen werden wird. Nichtsdestotrotz liefern die Einführungen eine erste Orientierung und erleichtern somit den Einstieg in den Text.

An prominenterster Stelle des Bandes steht die Erklärung über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae (DH, 1965) in lateinischer und deutscher Sprache. Diese Erklärung ist das Dokument zum Thema, mit ihr erkennt die katholische Kirche nach langem Ringen die Religionsfreiheit als Recht eines jeden Menschen, begründet in seiner Würde, an. Zu betonen ist hier die Bedeutung des Untertitels «… über das Recht der Person und der Gemeinschaft auf gesellschaftliche und bürgerliche Freiheit in religiösen Belangen». Er verweist u.a. auf die wesentliche Unterscheidung von moralischer und rechtlicher Ordnung. Denn von der moralischen Pflicht, die Wahrheit (vollumfänglich nur bei der katholischen Kirche zu finden) zu suchen, anzunehmen und zu bewahren, wird der Mensch nicht entbunden; es liegt also kein Relativismus im Sinne einer Aufgabe des kirchlichen Wahrheitsanspruchs vor. Vielmehr geht es um die Freiheit von Zwang jeglicher Art in sozialen und zwischenmenschlichen – also innerweltlichen – Beziehungen mit Blick auf religiöse Belange.

Unmittelbar an DH schließen zwei päpstliche Verlautbarungen an: Die so genannte «Toleranzansprache» (1953) Pius’ XII., die einerseits Toleranz dann einfordert, wenn diese dem übergeordneten Gut des Allgemeinwohls Nutzen bringt, andererseits aber weiterhin im These-Hypothese-Modell verharrt und dem Irrtum jegliches Daseinsrecht abspricht. Dramatischer noch fällt dieses Urteil in Pius’ IX. Quanta cura (QC, 1864) aus. Hierbei handelt es sich um eine prototypische Verurteilung der liberalen Freiheiten durch das Lehramt des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Eventuell wäre in der Einführung in diesen Text ein Verweis auf weitere päpstliche Verlautbarungen (hier wird nur der berühmtberüchtigte QC-Anhang Syllabus erwähnt), welche die dezidierte Abwehrschiene jener durch die Französische Revolution und den sich ausbreitenden Liberalismus geforderten Freiheiten fahren, sinnvoll gewesen: Mirari vos (Gregor XVI., 1832), Immortale Dei (Leo XIII., 1885) sowie Libertas praestantissimum (Leo XIII., 1888).

Spannungen zwischen den in den Band aufgenommenen Texten der beiden PiusPäpste und DH sind offensichtlich. Zudem kann DH nicht isoliert von der Tradition der katholischen Kirche verstanden werden (und will dies auch nicht, vgl. DH 1). Wie aber sieht das Verhältnis von DH und letzterer aus? Die Textsammlung liefert eine Bandbreite möglicher Interpretationen, darunter die einer Hermeneutik der Reform bei Benedikt XVI. (2005), die «eines (kontradiktorischen) Widerspruchs» bei Sebott (1998) aus kirchenrechtlicher Perspektive, die eines Bruchs durch den prinzipiellen «Schritt vom ‹Recht der Wahrheit› zum ‹Recht der Person›» (174) in den Augen Böckenfördes (1986), die einer strikten Kontinuität bei Utz (1990) oder auch die moderatere Position eines Walther Kaspers (1993), der in der Anerkennung der Religionsfreiheit durch das Konzil «keinen Bruch, sondern eine neue Aktualisierung der Grundprinzipien des Christentums unter den heutigen Voraussetzungen» (102) sieht, für ihn Ansicht der überwältigenden Mehrzahl der Theologen (ebd.).

Während die eben genannten Beispiele in gewisser Distanz zur Verabschiedung der Erklärung zur Religionsfreiheit stehen, kommen in drei weiteren, äußerst lesenswerten Texten drei Konzilsteilnehmer zu Wort. Alle drei haben sich dezidiert für die Religionsfreiheit ausgesprochen; insofern hätte ein Text von Seiten der Gegner der Religionsfreiheit das Bild durchaus differenzieren und komplettieren können. Mit dem Jesuiten Murray, der immerhin vormals mit einem Publikationsverbot zum Thema Religionsfreiheit belegt worden war und dann bei der zweiten Sessio als Berater berufen worden ist, wurde ein Autor ausgewählt, der paradigmatisch für die Haltung der US-amerikanischen Bischöfe steht und wesentlichen Anstoß zur Verabschiedung von DH lieferte. Auch Kardinal Bea (1963/64) argumentierte zugunsten der Religionsfreiheit (wenngleich noch mit einem unverschuldet irrendem Gewissen und der Unmöglichkeit festzustellen, ob es wirklich un- oder doch verschuldet ist). Und schließlich hat ein ausführlicher Text von Pavan (1967), wesentlich an der Ausarbeitung von Pacem in terris (Johannes XXIII., 1963 − warum diese wichtige und wegbereitende Enzyklika nicht in das Buch aufgenommen wurde, erschließt sich der Verf. nicht) und DH beteiligt, Eingang in den Band gefunden. Er befasst sich mit den «wesentlichen Elementen des Rechtes auf Religionsfreiheit» (222), stellt sich also Fragen nach Art, Inhalt und Träger des Rechtes, seiner Begründung, aber auch dem Wechselspiel zwischen Religionsfreiheit und Staatsgewalt. Wie aktuell diese Beziehung, gerade hinsichtlich der Aufgaben des Staates und der zu ziehenden Grenzen der Religionsfreiheit, auch weiterhin ist, zeigt die 2013 erschienene Publikation von Dieter Witschen «Religionsfreiheit und Kirche. Politik, Rechtsethik, Theologie» (ebenfalls Schöningh Verlag), die beschreibt, welche Möglichkeiten und Aufgaben sich für die Kirche, aber auch den Staat aus der Anerkennung Anerkennung der Religionsfreiheit als Menschenrecht ergeben.

Insgesamt erreicht der Band sein Vorhaben, als dass er tatsächlich eine abwechslungsreiche und differente Positionen einbeziehende Zusammenschau von Texten aus verschiedenen Jahrzehnten ermöglicht. Vielleicht wäre zur besseren Darstellung und Analyse des «Lernprozesses» eine chronologische Anordnung der Texte allerdings sinnvoller gewesen. Wer sich also «auf einen Streich» mit unterschiedlichen Interpretationsansätzen zur Religionsfreiheit beschäftigen möchte, ohne sich dabei allzu sehr von Fremd- und Drittmeinungen lenken zu lassen, dem sei diese Textsammlung durchaus anempfohlen!

Zitierweise:
Mirjam Kromer: Rezension zu: Karl Gabriel/ChristianSpieß/Katja Winkler (Hg.), Die Anerkennung der Religionsfreiheit auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Texte zur Interpretation eines Lernprozesses (= Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt 4), Ferdinand Schöningh/Paderborn 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions und Kulturgeschichte, Vol. 109, 2015, S. 426-429.

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